lesenswerte Texte zur
Schrift-Sprache und die Kultur des Lesens
In 40.000 Jahren oraler Kultur hat der homo sapiens über Mechanismen individuellen und kulturellen Lernens verfügt, aber wenig Wissen akkumulieren können. Ohne schriftliche Fixierung ist das, was wir heute denken, möglicherweise morgen schon wieder vergessen. Das persönliche Gedächtnis ist begrenzt, selbst bei den alten Griechen, die bewundernswerte Mnemotechniken, Versmaße, Reime und melodische Gedächtnisstützen entwickelt haben. Das erreichbare Kulturniveau eines einzelnen Menschen hing davon ab, wie viel ihm die wenigen pädagogischen Bezugspersonen und Lehrer mitgeben konnten. Ein besonderes Kulturniveau starb mit dem Menschen, der es erreicht hatte, auch wieder.
Mit der Erfindung der Schrift begann seit rund 5.000 Jahren eine Akkumulation kultureller Fertigkeiten und kulturellen Wissens. Erst Schrift ermöglicht ein festes, „objektives“ und kollektiv verfügbares Gedächtnis und damit die Ausnutzung des kognitiven „Ratschen”- oder „Wagenheber”-Effektes (Tomasello), durch den die Menschheit ihre kulturelle Entwicklung immer höher schrauben konnte. Die Fähigkeit des Lesens greift auf die alte neurophysiologische Funktionalitäten unseres Gehirns zurück (Wahrnehmung ikonisches Symbole) und ermöglicht es, kollektiv akkumulierte Kenntnisse individuell anzueignen. Erst der „Wagenheber“-Effekt, den der Wissens-Speicher Schrift ermöglichte, konnte zur beschleunigten kulturellen Entfaltung des homo sapiens führen.
Ernst Pöppel: Was geschieht beim Lesen? Lesen als Kulturtechnik ist eine kreative Leistung des menschlichen Gehirns, die aber durch einen Missbrauch desselben erkauft wird (2009) http://www.bpb.de/apuz/31695/was-geschieht-beim-lesen?p=all
Stanislas Dehaene: Lesen. Die größte Erfindung der Menschheit und was dabei in unseren Köpfen passiert, München 2010 (2009) Rezension aus der FAZ Stanislas Dehaene: How the Brain Learns to Read (2013) https://www.youtube.com/watch?reload=9&v=25GI3-kiLdo Stanislas Deheane: Reading the brain. Lecture (2012) https://www.youtube.com/watch?v=MSy685vNqYk
Alexander Grau: Sprache, Denken, Emotionen (2008) http://fsf.de/data/hefte/ausgabe/45/grau016_tvd45.pdf
Mark Changizi: The Vision Revolution (2009) (ebook) oder dt. Die Revolution des Sehens pdf
Schriftkultur und Denken
Ivan Illich, Barry Sanders: Das Denken lernt schreiben. Lesekultur und Identität (dt. 1988)
Eric A. Havelock: Als die Muse schreiben lernte: Eine Medientheorie zu Oralität und Literalität (2007, engl. 1986) Walter J. Ong: Oralität und Literalität. Die Technologisierung des Wortes (1987) Jack Goody: Die Logik der Schrift und die Organisation von Gesellschaft (1990; engl. The Logic of Writing, 1986) Wolfgang Raible: Die Semiotik der Textgestalt. Erscheinungsformen und Folgen eines kulturellen Evolutionsprozesses (Abhandlungen der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, 1991) online: http://www.romanistik.uni-freiburg.de/raible/Publikationen/Files/1991_Semiotik_der_Textgestalt.pdf Wolfgang Raible: Zur Entwicklung von Alphabetschrift-Systemen. Is fecit cui prodest, (Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, 1991) online: http://www.romanistik.uni-freiburg.de/raible/Publikationen/Files/1991_Entwicklung_Alphabetschriften.pdf
Krise des Lesens?
Zur medizinischen Psychologie der Reizüberflutung einige Hinweise hier
Im späten 18. Jahrhundert sorgten sich kritische Zeitgenossen über die zunehmende „Lesesucht”, die sie insbesondere bei Frauen diagnostizierten. siehe Lesesucht
Die Analyse der „modernen Nervosität” beschäftigte schon die psychologisch interessierten Menschen der Jahrhundertwende. Sigmund Freud referierte 1908 die Diskussion in seiner Schrift „Die ›kulturelle‹ Sexualmoral und die moderne Nervosität”. Auszüge hier
Eine aktuelle Medienkritik der elektronischen „Reizflut” hat der Leipziger Philosoph Christoph Türcke mit seinem Buch „Erregte Gesellschaft. Philosophie der Sensation” vorgelegt. Zusammenfassung hier
Menschliche Kultur hat ihren Ursprung in der mentalen Integration medialer Fiktionen, wie Türcke beschreibt und der evolutionsbiologische Ansatz von Schwender, Eibl etc medientheoretisch systematisiert vgl. meine Zusammenfassung Medien-Fiktionen
Texte auf meiner Seite www.Medien-Gesellschaft.de:
Die Erfindung der Alphabetschrift MG-Link
Phonetische Schrift und griechisches Denken MG-Link
Wozu brauchten die Ägypter Hieroglyphen? MG-Link
Die Kultur des Lesens in der griechisch-hellenistischen Welt aus: Chartier / Cavallo, Die Welt des Lesens Griechische Lesekultur
Die Kultur des Lesens im römischen Reich aus: Chartier / Cavallo, Die Welt des Lesens Römische Lesekultur
Der Untergang der antiken Kultur aus: Bergmeier: Schatten über Europa (2011) Link Bergmeier
Byzanz oder: Die Vernichtung der antiken Kultur im christlich-lateinischen Raum war nicht alternativlos MG-Link Auszüge aus: Chartier / Cavallo, Die Welt des Lesens und Prinz, Von Konstantin zu Karl dem Grossen
Schriftkultur im Mittelalter MG-Link
Klösterliche Lesepraktiken als Kommunikation der Seele mit Gott aus: Chartier / Cavallo, Die Welt des Lesens MG-Link
Lese-Revolution im Hochmittelalter aus: Chartier / Cavallo, Die Welt des Lesens MG-Link
Gutenberg umzu - die Erfindung des Buchdrucks als Kristallisationspunkt einer kulturellen Revolution MG-Link
Vor Gutenberg - die Verschriftlichungsrevolution als Vorbereitung des Buchdrucks MG-Link
Invasion des Alphabets in die lautorientierte Sprache. Luther und die Folgen MG-Link
Die Reformation als Medienereignis MG-Link
Lese-Sucht - über die Gefahren der „Bücherfluth” und die Kritik des Lesen im 18. Jahrhundert MG-Link
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